Marcus Jacoangeli, studierter Volkswirtschaftler und seit 14 Jahren beim Gesamtverband textil+mode, kennt wie kein anderer die Zahlen der Branche. Jeden Monat stellt er die wichtigsten Daten der deutschen Textil- und Modeindustrie zusammen und hat den Finger am Puls der Branche. Zusammen mit den Mitgliedsverbänden von textil+mode erfragt er in regelmäßigen Umfragen bei den Unternehmen die Stimmung in der Branche. textil+mode sprach mit Marcus Jacoangeli.
textil+mode: Herr Jacoangeli, was bedeutet der Ukraine-Krieg für die deutsche Textil- und Modeindustrie?
Marcus Jacoangeli: Mit der russischen Invasion in der Ukraine sind alle Hoffnungen zerstört worden, die wirklich schlimmen Auswirkungen der Corona-Pandemie vor allem im Modebereich endlich überwunden zu haben. Wir hatten zu Beginn des Jahres noch eine Umfrage, in denen sich die Unternehmen überwiegend zuversichtlich geäußert haben und davon ausgingen, dass die Krise in diesem Frühjahr überwunden sein würde. Diese Stimmung ist quasi über Nacht verflogen und die Unternehmen stehen nach zwei Jahren Krisenmodus vor noch viel größeren Herausforderungen als durch die Pandemie.
Was ist aus Ihrer Sicht die größte Herausforderung?
Die Kostenseite. Solche Kostensteigerungen auf breiter Front und zwar für alles gleichzeitig hat es noch nie gegeben. Unternehmen berichten uns, dass sie für Strom und Gas fast fünfmal so viel ausgeben müssen wie im vergangenen Jahr. Die Rohstoffpreise, etwa für Chemiefasern, sind um bis zu 70 Prozent gestiegen, bei Baumwolle um 50 Prozent, Farbstoffe sind 40 Prozent teurer. Bei einzelnen Produktgruppen auch deutlich mehr. Und die ohnehin schon exorbitant gestiegenen Frachtraten sind nach Ausbruch des Krieges innerhalb einer Woche um weitere 80 Prozent nach oben geschnellt. Das kann kein Unternehmer in diesem Umfang auf die Preise umschlagen. Das heißt: Sie müssen an die Substanz gehen, Investitionen werden zurückgestellt, sie müssen sehen, wo sie noch weiter einsparen können. Die Einsparpotenziale sind durch die Corona-Krise aber alle schon weitergehend ausgeschöpft.
Aber diese Preiserhöhungen haben ja alle im Markt zu verkraften?
Was die Logistik und die Rohstoffe angeht, stimmt das zumindest für europäische Unternehmen. Aber nicht bei den Energiepreisen. Hier haben wir nationale Belastungen, die andere Länder und damit Mitbewerber nicht haben. Deshalb setzen wir uns ja so vehement dafür ein, dass unsere Unternehmen um die rein nationalen Steuern und Abgaben entlastet werden müssen. Für unsere Produktionsprozesse brauchen wir Strom und Gas - etwa so viel wie eine halbe Million Durchschnittshaushalte in Deutschland pro Jahr für Strom und Heizung verbrauchen. Das ist ein enormer Kostenfaktor, wenn Sie beispielsweise Textilien veredeln oder Vliesstoffe herstellen.
Und sieht die Branche hier Einsparpotenziale?
Solange es noch keine erneuerbaren Energien in ausreichender Menge zu bezahlbaren Preisen auf dem Markt gibt, ist das produzierende Gewerbe auf fossile Energien wie Gas angewiesen. Unsere Abhängigkeit von Russland erweist sich deshalb in der jetzigen Situation als riesiges Problem.
Wie schätzen Sie die Konjunkturaussichten für die Branche in der aktuellen Problemlage ein?
Ich glaube, zurzeit kann niemand verlässlich sagen, was uns die kommenden Wochen und Monate bringen. Da halte auch ich mich zurück. Ich halte mich an die Zahlen, die ich Ihnen schwarz auf weiß zeigen kann. Und die besagen, dass die Unternehmen der deutschen Textil- und Modeindustrie im vergangenen Jahr ein moderates Umsatzplus von etwa 5,5 Prozent verbuchen konnten. Mode und Bekleidung konnten ihre Umsätze um 3 Prozent steigern. Nach einem Minus von 19 Prozent im Vorjahr war Bekleidung damit aber noch längst nicht wieder auf dem Niveau vor der Corona-Pandemie. Textil legte im vergangenen Jahr um 6,9 Prozent bei den Umsätzen zu und befand sich damit knapp unter Vorkrisenniveau. Dabei stiegen vor allem die Umsätze außerhalb Europas. Das gibt einigen in der Branche Hoffnung, zumal die Tendenz der Erholung zum Jahreswechsel ungebrochen war. Einige unsere Unternehmen haben aber durchaus ein nennenswertes Russland-Geschäft, das durch die Sanktionen jetzt zum Erliegen gekommen ist. Hier ist nicht davon auszugehen, dass sich daran schnell etwas ändern wird.
Herr Jacoangeli, wir danken Ihnen für das Gespräch!
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