Zum ersten Mal gibt es quer über die Breite der Textilbranche eine Umfrage über Herkunft und Verwertung textilähnlicher Abfälle. textil+mode hat darüber mit Jonas Stracke gesprochen.
textil+mode: Herr Stracke, was ist das Besondere an der Umfrage, die der Gesamtverband auf den Weg gebracht hat?
Jonas Stracke: Das besondere ist, das es uns gelungen ist, möglichst viele zum Mitmitmachen zu motivieren: Industrie, Handel, Textilreiniger, Unternehmen, die Berufsbekleidung oder Textilien für Krankenhäuser oder Gastro und Hotels verleihen. Es gibt so viele Ströme von gebrauchten Textilien in Deutschland, die noch nie auf einen Blick erfasst wurden. Das soll unsere Umfrage jetzt ändern. Denn nur, wenn wir wissen, was wir haben, können wir auch Lösungen schneidern, was aus Textilien, die nicht mehr im Gebrauch sind, werden kann.
textil+mode: Wenn es um textile Abfallströme geht, denken die meisten zuerst an Altkleider-Container. Sind wir da in Deutschland nicht schon sehr gut aufgestellt, weil wir unsere Altkleider alle dort hineinwerfen?
Jonas Stracke: Auch da haben wir als Hersteller kaum Wissen darüber, was in den Containern landet. Industrie und Abfallwirtschaft haben hier bislang nebeneinander her gearbeitet. Wir hören immer nur, dass es dort zunehmend minderwertige Kleidung gibt, die von globalen Billigketten aus Asien stammen und die nicht einmal mehr für Putzlappen oder Dämmmaterialien taugen. Aber selbst darüber gibt es keine verlässlichen Daten. Das wollen wir als Industrie ändern. Für uns sind nicht mehr gebrauche Textilien kein Abfall, sondern im besten Fall ein Rohstoff, der Beginn von etwas Neuem. Diese Neue können wir aber nur schaffen, wenn wir erst einmal wissen, wie die Abfallströme aussehen, denn vieles aus den Containern wird ja sofort weiter ins Ausland exportiert. Auch hier brauchen wir Transparenz.
textil+mode: Es ist immer davon die Rede, dass die Problematik darin besteht, dass Textilien aus vielen Materialien bestehen. Baumwolle, Polyester, Viskose, und dann gibt es noch Applikationen, Reißverschlüsse, Knöpfe… was bleibt da mehr als der Schredder?
Jonas Stracke: Wir müssen die Kreislaufwirtschaft rund denken. Das zeigen wir gerade auch in einem Pilotprojekt mit der BVG. Wenn die Berliner Verkehrsbetriebe von Anfang an Kleidung für ihre Mitarbeiter designen und produzieren lassen, aus denen dann später etwa Stoffe für Straßenbahnsitze werden und aus den Sitzen später Tragetaschen für die Kunden, dann wurde der Kreislauf von Anbeginn an mitgedacht. Wir wollen hier als deutsche Textil- und Modeindustrie voran gehen. Denn unsere mittelständischen Unternehmen haben das Wissen und das Know-how in Kreisläufen zu denken und zu produzieren. Wir wollen aber auch, dass die Öffentlichkeit versteht, wie aufwändig das ist und Kreislaufwirtschaft viel mehr ist als aus Plastikflaschen Bademode zu produzieren.
textil+mode: Wie gehen Sie bei der Umfrage vor, hat die Datenerhebung schon begonnen?
Jonas Stracke: Wir haben die Umfrage an unsere Mitgliedsverbände und Branchenverbände gesendet und haben bereits jetzt eine überwältige Resonanz, wie viele Verbände mitmachen wollen und die Fragen an ihre Unternehmen senden wollen. Das macht uns Mut und bestärkt uns in der Einschätzung, dass es richtig war, die Kreislaufwirtschaft auf eine solide Datenbasis zu stellen. Derzeit sind ja auch etliche politische Vorhaben in Brüssel und Berlin in der Pipeline. Hier können wir dann fundierte Beiträge für den Meinungsbildungsprozess leisten. Außerdem wollen wir die Datenauswertung mit KI und wissenschaftlich begleitet dazu nutzen, Szenarien für Wiederverwendung, Recycling und Verwertung zu entwickeln. Denn: Textilströme sind heute oft unsichtbar. Mithilfe digitaler Tools und KI wollen wir erkennen, wo künftig tatsächlich nutzbare Ressourcen vorhanden sind – und wie wir sie im Kreislauf halten können. Ich denke, dass wir dazu noch in diesem Jahr nützliche Erkenntnisse liefern können.
textil+mode: Herr Stracke, vielen Dank für das Gespräch.
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