textil+mode: Warum braucht man bei der Produktion von Textilien Fluorcarbone?
Dr. Antje Eichler: Es gibt eine Reihe von Spezialtextilien, die ganz bestimmte, oft lebensschützende Funktionen erfüllen müssen. Das fängt bei schusssicheren Westen für die Polizei an geht über feuerfeste Anzüge für die Feuerwehr und geht bis in den Bereich für Schutzkleidung für medizinisches Personal, etwa in Laboren, in denen an Viren geforscht wird oder auf Isolierstationen und im Rahmen der Pandemiebekämpfung. Auch Einsatzkräfte im Katastrophenschutz, Beschäftigte in der chemischen Industrie oder in Abwasserreinigungsanlagen müssen bestmöglich geschützt sein. Technische Textilien sind jedoch auch wichtige Komponenten in Hochleistungstechnologien, für die Energieerzeugung, den Umweltschutz, das Bauwesen und im Verkehrssektor.
In diesen speziellen Anwendungsbereichen ist dieser spezielle chemische Oberflächenschutz unverzichtbar.
textil+mode: Lassen sich die Fluorcarbone nicht durch andere Stoffe ersetzen?
Dr. Antje Eichler: Für Outdoor-Bekleidung, die nur wasserabweisend sein muss, gibt es fluorfreie Alternativen, die bereits angewandt werden. Bei Spezialanwendungen ist es bisher nicht gelungen, Fluorcarbone vollständig zu ersetzen. Um es an einem Beispiel klarzumachen. Steht der Polizist mit einer Schutzweste, die ihn vor Geschossen schützen soll, im Regen, weicht das Material auf und bietet ohne Spezialbeschichung keinen Schutz mehr. Ohne Fluorcarbone lassen wir unsere Polizei also sprichwörtlich im Regen stehen.
textil+mode: Das Problem von Fluorcarbonen ist, dass sie sich in der Natur nicht abbauen und krebserregend sein sollen, was sagt die Wissenschaft dazu?
Dr. Antje Eichler: Der Stoff PFHxA zeigt kein toxikologisch bedenkliches Profil. Das haben wissenschaftliche Studien nachgewiesen. Der Stoff ist lediglich nicht biologisch abbaubar, so wie zum Beispiel Speisesalz. Auf entsprechend funktionalisierten Textilien ist PFHxA zudem nur in sehr geringen Spuren vorhanden. Ein Verbot von PFHxA in zahlreichen Anwendungen stützt sich also allein auf das Argument, dass Fluorcarbone unzerstörbar sind. Wissenschaftler in den USA haben gerade für großes Aufsehen gesorgt, weil sie eine einfache Methode entwickelt haben, mit der sich fast ein Dutzend sogenannter "Ewig-Chemikalien" bei relativ niedrigen Temperaturen und ohne schädliche Nebenprodukte abbauen lassen. Das ist sicher ein erster Schritt – mehr nicht, aber es zeigt doch, dass Wissenschaft und Technik an dem Thema arbeiten und, da bin ich mir sicher, auch Lösungen finden.
textil+mode: Was erwarten Sie von der Politik in der Diskussion über Fluorcarbone?
Dr. Antje Eichler: Ich erwarte mir, dass wir endlich aufhören, den Einsatz von Chemikalien ideologisch zu diskutieren. Was macht es denn für einen Sinn, wenn wir eine ganze Reihe von technischen und Spezialtextilien nicht mehr bei uns in Europa herstellen? Wir brauchen mehr Wahrhaftigkeit in der Diskussion und die Einsicht, dass Technische Textilien nicht mit einem Produktionsverbot belegt werden dürfen, wenn sie Spezialfunktionen und extreme Anforderungen erfüllen müssen. Und in erster Linie brauchen wir eine Lösung für unsere Spezialtextilien im Rahmen der EU-Chemikalienregulierung. Einen Vorschlag haben wir vorgelegt. Wir müssen dringend ins Gespräch kommen, denn es ist „5 vor 12“.
Mehr dazu erfahren Sie im Faktencheck.
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