Als Vizepräsident des Gesamtverbandes textil+mode nahm Bodo Th. Bölzle am Zukunftsworkshop am 28. April 2022 in Berlin teil. Bölzle ist Präsident von Südwesttextil, der Verband der baden-württembergischen Textil- und Bekleidungsindustrie. Südwesttextil zeigt mit seinen Mitgliedern: Textil kann viel und engagiert sich für die nachhaltige Entwicklung. Das stellt Bölzle auch als CEO der Amann Group unter Beweis. Die 1854 gegründete Amann & Söhne GmbH & Co. KG aus Bönnigheim ist einer der weltweit größten Nähfadenhersteller und bietet eine breite Produktpalette an: vom klassischen Nähfaden über Spezialfäden für die Automobilindustrie bis hin zu Smart Yarns.
textil+mode: Herr Bölzle, der Green Deal ist in aller Munde. Die EU-Kommission hat eine Textilstrategie vorgelegt, in der die Kreislaufwirtschaft eine große Rolle spielt. Wie weit ist die deutsche Textil- und Modeindustrie?
Bodo Bölzle: Wir können Green Deal Textil und ich halte kreislauffähige Textilien und den Weg in die CO2-Neutralität auch für richtig und wichtig für uns, unsere Umwelt, unser Klima, unsere Zukunft und für die Zukunft unserer Branche. Aber es ist auch wichtig, dass man uns Zeit gibt, das geht nicht von heute auf morgen.
Was heißt Zeit, eine Dekade?
Das hängt davon ab, wieviel Unterstützung wir bekommen. Es sind gewaltige Investitionen in die einzelnen Prozessstufen nötig, um zu geschlossenen Kreisläufen und zu Klimaneutralität zu kommen. Das werden viele Unternehmen nicht allein stemmen können. Es gibt viele Ideen, wie man das technisch darstellen kann, aber eben noch unter Laborbedingungen. Die technische Umsetzung wird ein Kraftakt. Deshalb werden die Mittel die Geschwindigkeit beeinflussen.
Es ist ja schon heute sehr vieles möglich, wenn es um recycelte Fasern geht. Kritiker sagen allerdings: Nicht alles, was einmal eine Plastikflasche war, ist ein guter Anorak. Wie sehen Sie das?
Das ist schlicht falsch. Ein recyceltes Produkt ist kein schlechteres Produkt als ein Virgin-Produkt. Wir können heute entsprechend umstellen, für unsere Rohmaterialien gibt es ausreichend recycelte Mengen und sie werden keinen Unterschied bei den Produkten feststellen, weder optisch noch technisch.
Wenn ich in 10 Jahren eine Hose aus dem Kleiderschrank nehme, war das vorher mein Kleid oder ein Pullover?
Das kann Ihnen eigentlich egal sein, was die Hose vorher einmal war. Wichtig ist, dass Ihnen das Kleidungsstück gefällt, dass es die entsprechende Qualität hat, dass sie es gerne tragen. Und ob das vorher ein Bademantel oder ein Rock war, spielt keine Rolle. Wichtig ist, dass es aus dem Kreislauf kommt und wir damit Ressourcen und CO2 sparen.
Die Textilindustrie hat in ihrer Geschichte schon viele umwälzende Transformationen erlebt. In welcher Phase befindet sich die Branche gerade?
Wir befinden uns in einer sehr spannenden Phase. Bei Rohmaterialien sind wir schon weit. Und wir werden hier von technischen Zwängen, aber auch vom Verbraucherbewusstsein getrieben. Die Kunden werden immer stärker solche Produkte nachfragen. Deshalb werden wir ziemlich schnell den Punkt erreichen, wo wir schon aus wirtschaftlicher Sicht nicht mehr zwei Sortimente nebeneinander anbieten, sondern nur noch recycelte Fasern. Die anderen Prozess-Stufen werden danach folgen. Ich finde es äußerst spannend, diesen Prozess zu gestalten. Aus meiner Sicht sollten wir 2035 so weit sein, dass wir die Kreislaufwirtschaft haben und klimaneutral sind.
Das hört sich mindestens so spannend an wie der Übergang vom Webstuhl zur Dampfmaschine?
Spannender! Diese Transformation wird ein ganz großer Schritt für unsere Branche sein.
Herr Bölzle, wir danken Ihnen für das Gespräch!
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