Lieferkettengesetz in der Sackgasse!

Ein Beitrag von Dr. Uwe Mazura, Hauptgeschäftsführer vom Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie

14.07.2020

Am heutigen Dienstag, 14. Juli 2020, werden die Ergebnisse des Monitorings im Rahmen des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) vorgestellt. Der Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie wirft einen Blick auf den bisherigen Prozess und kommt zu dem Ergebnis: Es ging von Anfang an nur um ein Lieferkettengesetz. Dieser Plan steckt nun aber in einer Sackgasse!

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Dr. Uwe Mazura, Hauptgeschäftsführer Gesamtverband textil+mode

Was ist der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte?

Die Vereinten Nationen haben 2011 die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verabschiedet, nach denen die Staaten die Pflicht zum Schutz der Menschenrechte und die Unternehmen die Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte haben. Vor vier Jahren beschloss die Bundesregierung, die UN-Leitlinien in einem Nationalen Aktionsplan (NAP) als freiwillige Selbstverpflichtung umzusetzen. Diese sieht u. a. vor, dass Unternehmen die menschenrechtlichen Folgen ihrer Geschäfte ermitteln und Risiken identifizieren. Wenn es nötig ist, entwickeln sie Gegenmaßnahmen und richten einen effektiven Beschwerdemechanismus ein.

Schon zu dieser Zeit ließ Entwicklungsminister Gerd Müller, CSU, die rechtlichen Möglichkeiten für ein Lieferkettengesetz prüfen, das auf seinen Druck auch den Weg in die Koalitionsvereinbarung von Union und SPD vor drei Jahren fand. Darin heißt es: „Falls die wirksame und umfassende Überprüfung des NAP 2020 zu dem Ergebnis kommt, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreicht, werden wir national gesetzgeberisch tätig und werden uns für eine EU-weite Regelung einsetzen.“

NAP-Monitoring – von Anfang an nicht ergebnisoffen

Die Bundesregierung beauftragte die Unternehmensberatung Ernst & Young zu überprüfen, ob die Unternehmen die freiwillige Selbstverpflichtung auch umsetzen. Bereits die erste Fragerunde im vergangenen Jahr war nach Einschätzung von Experten darauf angelegt, dass Unternehmen scheitern mussten. Hunderte E-Mails liefen zudem ins Leere, weil sie nicht zielgenau adressiert waren. Der Ambitionsgrad der Fragen ließ nur einen Schluss zu: Statt eines ergebnisoffenen Prozesses sollte am Ende der Befragung das Scheitern der Selbstverpflichtung stehen. Das Ergebnis der Befragung war deshalb für Experten keine Überraschung: Nur ein Fünftel der 400 teilnehmenden Unternehmen konnte vor den Augen der Prüfer und ihrem Kriterienkatalog bestehen.

Wirtschaft wird pauschal unter Verdacht gestellt

Aufgrund der strukturellen Mängel wurde eine zweite Befragungsrunde angesetzt. Der Austausch zwischen Wirtschaft und Regierung zu dieser zweiten Runde wurde bewusst als Einflussnahme der Wirtschaft diffamiert. Ein Bündnis aus kirchlichen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen machte kräftig Stimmung.

Die zweite Befragungsrunde fiel mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie zusammen. Zusammengebrochene Lieferketten, Kurzarbeit, Umsatzeinbrüche von 80 Prozent und mehr bestimmen seither den Alltag in vielen Unternehmen. Vor diesem Hintergrund ist die Beteiligung an der zweiten Umfrage sogar ein Erfolg: Knapp 600 Unternehmen haben den Fragebogen freiwillig beantwortet.

Lieferkettengesetz um jeden Preis

Wie schon vor der ersten Befragungsrunde sickerten auch vor dem Ende der zweiten Runde Eckpunkte für ein Lieferkettengesetz durch. Dabei sollte ein mögliches Gesetz doch erst nach den Ergebnissen der Befragung entschieden werden. Was mit einem „Wertschöpfungskettengesetz“ aus dem Entwicklungsministerium seinen Anfang nahm, heißt jetzt „Sorgfaltspflichtengesetz“ und hat neben Entwicklungsminister Gerd Müller, CSU, auch Arbeitsminister Hubertus Heil, SPD, als treibende Kraft hinter sich. Zwar beteuern beide, die Eckpunkte für ein Gesetz inzwischen der Realität angepasst zu haben. Doch das, was bisher bekannt ist, spricht eine andere Sprache.

Das Gesetz soll in Deutschland ansässige Unternehmen mit über 500 Mitarbeitern erfassen. Damit wären über 7.200 Unternehmen direkt betroffen mit unzähligen großen und kleinen Lieferanten.

Grundsätzlich soll eine zivilrechtliche Haftung für die gesamte Wertschöpfungskette möglich sein. Ein Unternehmen soll für „Beeinträchtigungen haften, die bei Erfüllung der Sorgfaltspflicht vorhersehbar und vermeidbar“ waren. Diese Formulierung in den Eckpunkten für ein Lieferkettengesetz eröffnet grundsätzlich die Haftungsreichweite auf alle Zulieferstufen.

textil+mode: Gemeinsam Menschenrechte stärken statt noch mehr Schaden mit Diskussion über nationales Lieferkettengesetz anrichten!

Aus Sicht der deutschen Textil- und Modeindustrie bestraft ein solches Lieferkettengesetz ausgerechnet die Unternehmen, die weltweit an der Spitze stehen, wenn es um Sozial- und Umweltstandards geht. Die deutsche Textil- und Modeindustrie produziert nach weltweit höchsten Umwelt- und Sozialstandards, sie achtet die Menschenrechte und engagiert sich gegen Kinderarbeit. Dafür bürgen viele Marken mit ihrem Namen und investieren viel. Stellen Sie sich einfach kurz vor, Sie sind ein Mittelständler, der in Deutschland Hemden oder Kopfkissen produziert. Damit wären Sie in der Haftung nicht nur für die Knöpfe, die sie vielleicht aus Taiwan beziehen, sondern auch für den Transport ihrer Biobaumwolle in die indische Spinnerei. Ein einfaches Herrenoberhemd durchläuft 140 Schritte vom Baumwollfeld bis zum Bügel. Dafür soll der deutsche Mittelständler die Haftung entlang der gesamten Lieferkette tragen, einschließlich der Herstellung etwa des Kragenstäbchens oder der Schiffsheuer der Matrosen, die die Knöpfe, Kragenstäbchen oder die Baumwolle mit dem Containerschiff nach Deutschland bringen. Und selbst wenn Sie nicht unmittelbar in den Anwendungsbereich eines solchen Lieferkettengesetzes fallen, können Sie aufgrund vertraglicher Haftungsweitergabe ihres großen Geschäftspartners haften.

Sollte ein derartiges Lieferkettengesetz verabschiedet werden, würden deutsche Unternehmen unabhängig von ihrer Größe im internationalen Wettbewerb massiv benachteiligt. Konkurrenten aus anderen Ländern hätten einen noch größeren Vorteil gegenüber deutschen Unternehmen, die schon jetzt hohe Standards einhalten und da wo sie produzieren, auch standardsetzend sind.

Corona: Verantwortung für Textilarbeiterinnen und -arbeiter auf der ganzen Welt

Die deutsche Textil- und Modeindustrie ist sich ihrer Verantwortung für die Arbeitsplätze nicht nur in Deutschland bewusst. Trotz des Lockdowns und Umsatzeinbrüchen von 80 Prozent und mehr durch die Corona-Pandemie haben die deutschen Modemarken Verantwortung übernommen. Während globale Fast Fashion- und Billigketten ihre Aufträge hierzulande als auch in den Produktionsländern reihenweise stornierten, blieben unsere mittelständischen deutschen Modemarken ihren langjährigen Partnern und der Verantwortung für ihre eigenen Produktionsstandorten treu. Tausende Arbeitnehmerinnern und Arbeitnehmer in Schwellen- und Entwicklungsländern hatten so trotz Corona ihre Arbeit und ihr Einkommen.

Nach dem Zusammenbruch des Bekleidungsmarktes im nahezu weltweiten wochenlangen Lockdown haben viele deutsche Modemarken in beeindruckender Weise eine Produktion von Schutzkleidung und Masken auf die Beine gestellt. Dies wird vielen Unternehmen jetzt zum Verhängnis. Trotz hoher Kosten können sie keine Übergangshilfen beantragen, da sie durch die Maskenproduktion Umsätze erzielt haben, auch wenn diese die vorherigen Geschäfte nicht im Ansatz ausgleichen. Frustriert sind viele Unternehmer auch durch die Erfahrung, dass Bund und Länder bei Auftragsvergaben nicht bei der heimischen Industrie ordern, sondern lieber direkt in China bestellen – wohl wissend, dass zahlreiche Lieferungen nicht die hiesigen Qualitätsstandards erfüllen.

Neuer Anlauf bei menschenrechtlicher Sorgfaltspflicht: Gemeinsam durch die Corona-Krise!

Die deutsche Textil- und Modeindustrie fordert die Bundesregierung deshalb auf, die Lieferketten heimischer Unternehmen endlich vorurteilsfrei zu beleuchten, statt die gesamte deutsche Wirtschaft dauerhaft mit einem Lieferkettengesetz unter Generalverdacht zu stellen. Die Einhaltung der Menschenrechte gehört zur DNA der mittelständischen Industrie. Die 1.400 Unternehmen der deutschen Textil- und Modeindustrie mit ihren zuletzt 134.000 Mitarbeitern stehen für Qualität, Werthaltigkeit, Innovation und textile Zukunftslösungen.

Das verkorkste, zu keinem Zeitpunkt ergebnisoffene NAP-Monitoring und das ständige Drohen mit einem Lieferkettengesetz haben Vertrauen und die Arbeit für menschenrechtliche Sorgfalt entlang der Lieferkette nicht befördert, sondern massiv beschädigt. Wer möchte noch dem Ruf des Entwicklungsministers folgen, Handel oder gar Investitionen in Entwicklungsländern voranzutreiben, wenn er auf die Risiken blickt. So gesehen, ist das Lieferkettengesetz auch zutiefst globalisierungsfeindlich.

Gerade angesichts der weltweiten Corona-Pandemie geht es jetzt um einen Ansatz, der die Schwächsten in den globalen Lieferketten stärkt. An einer solchen Lösung beteiligt sich die deutsche Textil- und Modeindustrie gerne und bietet ihre Mitarbeit und Erfahrung an.

Wir appellieren an die Bundesregierung, gemeinsam effektive Wege zur Stärkung der Menschenrechte zu erarbeiten, statt weiter an einem nationalen Lieferkettengesetz herum zu doktern. Wenn die Bundesregierung ehrlich ist, hat sie zulange zugeschaut, wie zwei Minister ein Vorhaben betrieben haben, das schon im Ansatz ein einziger Webfehler ist.

Wird es Gesetz, schadet es ausgerechnet den Unternehmen, denen Sozial- und Umweltstandards wichtig sind. Nur gemeinsam werden wir aus der Corona-Krise kommen, das gilt in ganz besonderer Weise für die globale Lieferkette und die Menschenrechte. Mit einem wettbewerbsverzerrenden, mittelstandsfeindlichen Gesetz, das Unternehmen belastet, ohne die wirklichen Probleme zu lösen, schaffen wir das nicht. Die Pläne für ein nationales Lieferkettengesetz stecken in der Sackgasse. Noch ist Zeit umzukehren!