textil+mode: Herr Diebel, im März hat die Zukunftsstudie „Perspektiven 2035“ das Licht der Welt erblickt, kurz vor dem Corona-Shutdown. Wie groß war Ihr Ärger?
Johannes Diebel: Es gab eigentlich nur einen Grund sich zu ärgern: Als wir unsere Veranstaltung dazu Mitte März absagen mussten. Aber da haben wir schnell reagiert und die Studie online vorgestellt. Seitdem gab es bereits zahlreiche Gelegenheiten, mit anderen Experten über unsere Zukunftsstudie Perspektiven 2035 zu diskutieren, zuletzt bei der Open Spaces Konferenz der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach. Da haben wir uns die Frage gestellt, ob unsere Studie auch mit und nach Corona noch aktuell ist.
textil+mode: Und was war die Antwort? Müssen Sie die Studie jetzt neu schreiben?
Johannes Diebel: Nein, im Gegenteil. Die Covid-19 Pandemie hat gewisse Megatrends beschleunigt. Allen voran die Digitalisierung und die Frage, wie wir jetzt bei Nachhaltigkeit und Decarbonisierung ganz konkret werden und Lieferketten möglicherweise auch wieder nach Europa zurückverlagern. Genau diese Megatrends haben wir in unserer Studie beleuchtet. Dazu gehörte auch das Themenfeld Textilien in der Medizin, beim Gesundheitsschutz oder der Abwehr von Viren.
textil+mode: Das heißt, Ihr Blick in die Glaskugel war schon ganz gut?
Johannes Diebel: Auf jeden Fall so treffsicher, dass wir an unser Roadmap jetzt ganz konkret weiter arbeiten können. Wir fangen nicht bei null an, was gut ist, denn viele Unternehmen haben bereits begonnen, nach neuen Geschäftsmodellen Ausschau zu halten: von der Kreislaufwirtschaft über neue Materialien aus nachwachsenden Rohstoffen bis hin zu Anti-Corona Masken oder antiviralen Textilien, die innovativ sind und nachhaltiger als Einwegprodukte.
textil+mode: Wir alle müssen ja aber gerade beim Thema Corona-Impfstoff schmerzlich lernen, dass Forschung dauert. Kann die Textilforschung denn schnell genug sein, um bei diesen Megatrends, wie Sie sie nennen, bis 2035 Lösungen zu entwickeln?
Johannes Diebel: Auf jeden Fall. Sowohl in unseren Forschungsinstituten als auch in vielen unserer mittelständischen Unternehmen gibt es bereits heute faszinierende Zukunftslösungen, die schon in Pilotprojekten zur Anwendung kommen. Textile Fassaden, die Schadstoffe binden oder Energie erzeugen, Outdoorjacken, die mehr können als nur vor Regen und Kälte schützen. Fasern, die auf dem Kompost entsorgt werden können.
textil+mode: Das heißt, die Zeit von Fast-Fashion ist vorbei?
Johannes Diebel: Die deutsche Textil- und Modeindustrie ist alles andere als Fast-Fashion. Unsere mittelständischen Unternehmen und Modemarken in Deutschland stehen für hohe Qualität, gute Passform und Langlebigkeit. Wir in der Forschung sorgen für die Innovationen.
textil+mode: Und wissen das die Kunden zu schätzen?
Johannes Diebel: Bei technischen Textilien ja. Es kommt trotzdem darauf an, dass wir weiterhin schnell sind beim Wissenstransfer der Forschung in die Unternehmen. Wir können Green Deal Textil oder - wie ich gerne sage - aus dem Werkstoff Textil wird die Zukunft gebaut. Hier gibt es für unsere Unternehmen noch unzählige Geschäftsfelder zu entdecken. Auf jeden Fall geht uns die Arbeit als Forscher bis 2035 nicht aus.
textil+mode: Herr Diebel, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Weitere Informationen zur Zukunftsstudie "Perspektiven 2035"
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