Immer mehr Kunden verlangen nach Produkten, die umweltfreundlich sind und nachhaltig produziert werden. Das gilt in besonderem Maße auch für Textilien, die naturgemäß besonders nah am Verbraucher sind, etwa in Form von Bekleidung oder beispielsweise Textilien für Autos und Möbel. Zur Nachhaltigkeit gehört vor allem, dass Textilien künftig mehr und mehr aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden – um damit Substanzen aus Erdöl zu ersetzen.
Mikroalgenkulturen im CSIRO Microalgae Collection laboratory. © CSIRO, CC By 3.0
Ein Blick auf die deutsche Textilforschung zeigt, dass die Forschungsinstitute insbesondere auch mit Unterstützung durch die Industrielle Gemeinschaftsforschung (IGF) und das FKT hier in jedem Jahr vielversprechende neue Ansätze entwickeln. Ein aktuelles Beispiel ist SeaCell, eine Zellulosefaser aus Eukalyptusholz und Algenextrakten. Sie ist nicht nur biologisch abbaubar, extrem saugfähig und atmungsaktiv, sondern wirkt dank der Inhaltsstoffe aus den Algen zudem antibakteriell. An den Deutschen Instituten für Textil- und Faserforschung Denkendorf wurden daraus jetzt eine Mehrwegwindel ohne Klettverschluss und ein Schlafsack ohne Reißverschluss und Knöpfe hergestellt.
Damit bestehen beide Produkte aus einem einzigen Material, was das anschließende Recycling deutlich erleichtert. Bei beiden Anwendungen kommen die Atmungsaktivität und die Saugfähigkeit voll zum Tragen. Das Klima im Schlafsack etwa ist besonders angenehm, weil sich die Faser warm anfühlt und Körperfeuchtigkeit 50-mal schneller als Baumwolle aufnimmt.
91 Prozent der Kunststoffe aus Erdöl
Eine der größten Zukunftsaufgaben für die Textilindustrie ist es, die Produktion von Chemiefasern auf biobasierte Rohstoffe umzustellen. Chemiefasern machen heute den Löwenanteil aller Textilfasern weltweit aus – ihre Menge liegt jährlich bei rund 88 Millionen von rund 120 Millionen Tonnen verarbeiteten Fasern. Wobei 91 Prozent der eingesetzten Kunststoffe aus Erdölprodukten hergestellt werden. In Sachen Nachhaltigkeit wäre viel gewonnen, wenn man die Kunststoffproduktion auf biobasierte Rohmaterialen umstellte.
Großer Verbund für biobasierte Chemikalien
Genau das ist das Ziel des vom Bundesforschungsministerium im Rahmen des Schwerpunktprogramms Bioökonomie geförderten „Innovationsraums BIOTEXFUTURE“. Für einen Zeitraum von fünf Jahren fördert das Ministerium eine Reihe von Kooperations-Projekten, in denen der Richtungswechsel umfassend angegangen wird. Dabei gibt es drei Stoßrichtungen: Zum einen sollen nachhaltige Rohstoffquellen erschlossen werden – sogenannte biobasierte Substrate – unter anderem Algen. Zum zweiten soll die gesamte Prozesskette vom Rohstoff bis zum fertigen Textil beleuchtet und optimiert werden. „Ein Totschlagargument ist heute, dass biobasierte Substrate teurer als die etablierten petrochemischen Substanzen sind“, sagt Thomas Köhler vom Institut für Textiltechnik (ITA) der RWTH Aachen, einer der Koordinatoren von BIOTEXFUTURE. „Insofern muss die gesamte Prozesskette optimiert werden, um biobasierte Produkte künftig in großer Menge, der nötigen Qualität und wirtschaftlich fertigen zu können.“ Die Kooperation hat den Vorteil, dass viele Forschungseinrichtungen und Industrieunternehmen zusammenarbeiten. Die Erkenntnisse aus einem Projekt können dann einem anderen direkt zugute kommen. Untersucht werden zudem sozioökonomische Aspekte – unter anderem die Frage, inwieweit und unter welchen Voraussetzungen Kunden tatsächlich bereit sind, biobasierte aber eventuell teurere Textilien zu kaufen. Dazu soll es Umfragen, Workshops, Reallabore und eine Reihe anderer Veranstaltungen geben.
Skalierung und Kundenverhalten mit Bedenken
Damit schlägt BIOTEXFUTURE, das Ende Juni 2020 gestartet ist, den großen Bogen zwischen der Grundlagenchemie und dem Markt. Und so hebt es die Entwicklung biobasierter Textilien auf ein neues Niveau. „Bislang gab es viele Einzelprojekte, deren Ergebnisse in Fachveröffentlichungen oder kleine Demonstratoren geflossen sind. Das war nicht immer nach außen transparent. Und auch eine Skalierung - also eine Erweiterbarkeit der Laboranlage auf industrielle Maßstäbe - war längst nicht immer gegeben“, sagt Thomas Köhler. „Mit der Größe von BIOTEXFUTURE ist die Möglichkeit zur Skalierung jetzt aber voll da.“ Auch die Qualität biobasierter Fasern, die bereits den Weg in den Markt geschafft haben, soll verbessert werden.
Mit dem Kick-off Ende Juni sind auch die ersten vier großen BIOTEXFUTURE-Projekte gestartet. Zum Jahresende soll es dann eine zweite Ausschreibungsrunde geben, für die dann Bewerbungen eingereicht werden können.
Lignin und Hanf als Öko-Werkstoff
Das Ziel, Kunststoffe für Textilien künftig durch biobasierte Substrate zu ersetzen, ist in Sachen Nachhaltigkeit ein großer Hebel. Dennoch gibt es natürlich noch eine Fülle anderer Ansätze, nachwachsende Rohstoffe in der Textilindustrie zu etablieren. Ein Beispiel sind Carbonfasern aus dem Holzrohstoff Lignin, der als Abfallprodukt in der Papier- und Zellstoffindustrie anfällt. Eine entsprechende Fertigungslinie wird derzeit von dem Anlagenbauer Centrotherm International in Kooperation mit den DITF entwickelt. Und natürlich sind auch klassische Fasern wie Hanf und Flachs eine Zukunftsoption. Auch wenn Herstellungsprozesse daran angepasst werden müssen. Denn aktuelle Projekte zeigen, dass das gleich in mehrfacher Hinsicht vorteilhaft sein kann. Etwa bei der Herstellung von Faserverbundwerkstoffen aus Hanfbast. Üblicherweise werden für Verbundwerkstoffe Carbonfasern verwendet, die petrochemisch erzeugt werden. Doch auch Hanfbast eignet sich für die Herstellung von Hochleistungskompositen. Die Vorteile: Hanfbast ist leicht und vergleichsweise günstig zu beschaffen. Deshalb wurde am Sächsischen Textilforschungsinstitut eine industrielle Prozesskette entwickelt, die von der Gewinnung des Hanfbastes bis zur Verarbeitung im Bauteil reicht. Darin werden zunächst aus Bastrinde feine Stängel geschält, die dann zu Bändchen gebunden und anschließend zu Flächengebilden vernäht werden. Diese Gebilde werden mit Harzen aus Pflanzenöl getränkt und zu Laminaten ausgehärtet.
Hoffnungsträger Chicorée
Während man von Fasern aus Flachs und Hanf als künftige Werkstoffe schon des Öfteren gehört hat, beschäftigt sich ein Verbund, dem Experten von der TU München, dem Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB, der Universität Hohenheim, mehreren Industriepartnern und den DITF angehören, damit, biobasierte Polyesterfasern aus Chicorée-Wurzeln herzustellen. Die Blätter des Chicorées sind heutzutage ein beliebtes Gemüse. Die Wurzeln aber werden meist entsorgt oder gleich nach der Ernte wieder untergepflügt. Dabei enthalten sie den Wertstoff Inulin, der als Ausgangsprodukt für die Synthese von Polymeren verwendet werden kann. In dem vom BMBF geförderten Verbund wird der gesamte Herstellungsweg von der Wurzel zum textilen Produkt betrachtet.
Alle diese Beispiele zeigen, dass sich die über Jahrzehnte etablierten industriellen Prozesse, die ganz auf Erdöl basieren, durchaus auf biobasierte Grundchemikalien und Fasern umstellen lassen. Noch ist ein gutes Stück zu gehen. Aber Verbundprojekte wie dieses und BIOTEXFUTURE zeigen, dass Lösungen auf dem Weg sind – umfassende Lösungen, die nicht nur die zugrunde liegende Chemie, sondern auch die Produktion und den Endverbraucher im Blick haben; eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass all diesen Neuentwicklungen tatsächlich eine erfolgreiche Markteinführung gelingt.
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