Der Handel bleibt im Wintergeschäft auf Millionen unverkaufter Teile sitzen – danach sieht es aktuell aus. Befürchtet werden tausende Insolvenzen. Wie ist die Lage der Hersteller aktuell?
Neumann: Die Lage der Hersteller ist dramatisch. In Folge des ersten Lockdowns sind die Umsätze unserer mittelständischen Hersteller und Modemarken um bis zu 45 Prozent zurückgegangen. Der Winterlockdown betrifft die Bekleidungshersteller noch viel härter. Die Finanzdecke ist im Laufe des Jahres immer dünner geworden, die Rücklagen sind aufgebraucht. Und diese Lage haben wir nicht nur auf dem deutschen Markt. In vielen Ländern Europas, die für unsere Hersteller wichtige Absatzmärkte sind, hangeln wir uns von Lockdown zu Lockdown. Die Läden haben zu, die Umsätze sind gleich Null, und das Online-Geschäft gleicht die Verluste bei Bekleidung nicht einmal im Ansatz aus. Und viele Menschen sind in Sorge um ihren Job, was nicht gerade die Konsumlaune hebt. Auch fehlen schlicht die Anlässe für den Kauf eines neuen Skianzugs oder eines neuen Kleids. Homeoffice, keine Kultur, kein Wintersport, keine Familienfeiern, wir können nicht mehr ausgehen. Das ist die Corona-Realität mit bitteren Folgen für die Modeindustrie weltweit.
Spiegelt sich die katastrophale Lage vieler Händler bereits in den nächsten Ordern wieder?
In jedem Fall. Und das wird noch auf lange Sicht so bleiben. Unsere Unternehmen produzieren mit einem monatelangen Vorlauf. Viele Händler sind gebrannte Kinder. Im Sommer hat man ihnen gesagt, einen Lockdown wie im Frühjahr wird es kein zweites Mail geben. Jetzt ist es noch schlimmer gekommen. Kein Wunder, dass viele Händler bei ihren Bestellungen für die Herbst-/Winterkollektionen 2021/22 und folgende mehr als zurückhaltend sind. Sie haben ja noch so viel Ware im Lager und es fehlt auch die Liquidität, neue Ware zu kaufen. Deshalb führen wir in diesen Tagen intensive Gespräche mit der Bundesregierung. Es sollen jetzt beispielsweise Abschreibungen von Saisonware ermöglicht werden, dass muss natürlich auch für uns als Hersteller gelten. Allen, Händlern und Herstellern, steht das Wasser bis zum Hals!
Wurden Produktionskapazitäten und Liefertermine angesichts des immer länger andauernden Lockdowns bereits angepasst?
Wir in der mittelständischen Modeindustrie mit unseren Qualitätsmarken sind nicht Fast Fashion. Wir haben auch noch enge Kundenbindungen. In diesem Verhältnis versuchen alle möglichst im Miteinander die Krise zu managen. Jetzt sind aber auch bei uns Grenzen des Machbaren überschritten. Selbstverständlich müssen dann auch Kapazitäten angepasst werden.
Gehen Sie davon aus, dass nach der Pandemie einige Marken aus der Modelandschaft verschwinden werden?
Das Wort verschwinden gefällt mir in dem Zusammenhang gar nicht. Wir werden ja durch die Lockdowns quasi in Ketten gelegt und in die Knie gezwungen. Die Händler dürfen nichts mehr in den Läden verkaufen, die Menschen sollen nicht mehr zum Shopping in die Innenstädte. Deshalb schlagen die Händler und unsere Modemarken zurecht Alarm. Die Modeindustrie ist weltweit von der Corona-Pandemie die am meisten betroffene Industriebranche mit schlechten Aussichten, sich in den kommenden eins, zwei Jahren schnell zu erholen. Wenn wir unsere starken deutschen Schuh- und Modemarken auch künftig in den Regalen finden wollen, brauchen wir jetzt einen Zukunftspakt. Es kann doch nicht sein, dass Corona ausgerechnet die Unternehmen vom Markt fegt, die hohe Qualität und werthaltig produzieren. Das ist doch genau der Kurs, den wir in Europa einschlagen wollen.
Zwei Drittel der deutschen Textilindustrie produziert keine Bekleidung – wie steht es um diese Betriebe?
Leider sind wir auch hier im vierten Jahr in Folge in den Minus-Zahlen. Die technischen Textilien waren bisher das Zugpferd unserer hochinnovativen deutschen Textilbranche. Aber auch hier sind wir durch die weltweite Industrie-Rezession 2018/2019 bereits in schwieriges Fahrwasser geraten; und dann kam Corona und beutelte auch hier viele Unternehmen schwer, die beispielsweise in die Auto- oder Flugzeugindustrie zuliefern.
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