Faire Energiewende: Carbon-Leakage-Verordnung muss deutlich nachgebessert werden

textil+mode sprach mit Michael Engelhardt, dem Experten für Energiepolitik beim Branchenverband der deutschen Textil- und Modeindustrie, über die aktuelle Diskussion zur CO2-Bepreisung, welche Auswirkungen die Carbon-Leakage-Verordnung auf den industriellen Mittelstand hat und wie den Unternehmen konkret unter die Arme gegriffen werden kann.

28.04.2021

textil+mode: Die Verbände der mittelständischen Industrie laufen Sturm gegen die CO2-Bepreisung, warum?

Michael Engelhardt: Wir setzen uns für faire Standortbedingungen für unsere Unternehmen ein. Die deutsche CO2-Bepreisung durch den Brennstoffemissionshandel verletzt diese Fairness. Sie ist eine rein nationale Mehrbelastung, die unsere Unternehmen bei ohnehin sehr geringen Gewinnmargen und angesichts der Corona-Krise nicht tragen können. Hinzu kommt, dass die CO2-Bepreisung noch keinerlei Lenkungswirkung hin zu mehr Klimaschutz hat, da es grüne Brennstoffe, die unsere Unternehmen benötigen, bisher weder in ausreichender Menge noch zu bezahlbaren Preisen gibt. Damit haben die Unternehmen bisher keine Alternative zu den konventionellen Brennstoffen.

Selbst wenn Sie wollten, könnten sie das Porzellan nicht mit grünem Wasserstoff brennen oder die Textilveredler in ihren Produktionsprozessen auf Gas verzichten?

Genau, und deshalb hat die Bundesregierung den Unternehmen im Brennstoffemissionshandel zugesagt, sie vor Wettbewerbsnachteilen zu schützen, vergleichbar mit Unternehmen im Europäischen Emissionshandel. Diese Zusage hat sie bisher leider nicht eingehalten. Darum fordern wir, die sogenannte Carbon-Leakage-Verordnung, die jetzt im Bundestag beraten wird, dringend nachzubessern. Schließlich sollte unseren Unternehmen damit geholfen werden. So wie die Verordnung jetzt auf dem Tisch liegt, hilft sie aber nur sehr begrenzt.

Welche Branchen sind besonders betroffen?

Besonders durch den nationalen Emissionshandel betroffen sind kleinere energieintensive Unternehmen, die bisher aufgrund ihrer geringen Größe nicht verpflichtet waren, am Europäischen Emissionshandel teilzunehmen. Diese Unternehmen benötigen für ihre Wärme- und Schmelzprozesse Brennstoffe zu international wettbewerbsfähigen Preisen. Die betroffenen Unternehmen produzieren Textilien, Keramik, Kautschuk, Gußteile und Feuerfest-Produkte oder gehören zu den Stahl- und Kunststoffverarbeitern.

Es sind nur noch wenige Sitzungswochen, dann ist die Legislaturperiode zu Ende. Was muss der Bundestag aus ihrer Sicht jetzt noch zügig nachbessern?

Die Abgeordneten des deutschen Bundestages müssen uns dringend dabei unterstützen, die Carbon-Leakage-Verordnung an mehreren Punkten deutlich nachzubessern, um ein vergleichbares Schutzniveau für die Unternehmen wie im EU-Emissionshandel zu erreichen.

Dazu gehört beispielsweise, dass die geplante Kompensation der kleinen Unternehmen im Brennstoffemissionshandel mit der Entlastung der großen Unternehmen im EU-Emissionshandel gleichgestellt wird. Es kann nicht sein, dass kleine Unternehmen einer Branche im Vergleich zu großen Unternehmen derselben Branche benachteiligt werden.

Es ist auch nicht akzeptabel, dass die Unternehmen die CO2-Bepreisung erst einmal über ein Jahr lang vorfinanzieren sollen und sich das Geld erst dann teilweise zurückholen können. Wir meinen, dass es den Unternehmen auch möglich sein muss, unterjährig, etwa quartalsweise, Erstattungen zu beantragen.

Für besonderen Unmut sorgt bei Ihnen, dass die Kompensationszahlungen davon abhängig gemacht werden sollen, dass Haushaltsmittel zur Verfügung stehen?

Ja, das ist aus unserer Sicht völlig absurd. Deshalb lehnen wir die geplante Bindung der Kompensationszahlungen an reservierte Steuermittel ab. Wenn die Unternehmen die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen, müssen sie sicher sein können, dass sie die zugesagten Kompensationen erhalten. Wenn die Kompensation davon abhängig gemacht wird, in welchem Umfang Haushaltsmittel vorhanden oder reserviert sind, haben die Unternehmen keinerlei Planungssicherheit.

Wenn nichts passiert, was bedeutet das für die Unternehmen?

Für unsere Unternehmen bedeutet die CO2-Bepreisung eine Erhöhung ihrer Energiekosten um bis zu 20 Prozent. In energieintensiven Unternehmen führt dies zu einer starken Erhöhung der Produktionskosten, die die Unternehmen im scharfen internationalen Wettbewerb nicht über höhere Preise an ihre Kunden weitergeben können. Sie bleiben also auf diesen Mehrkosten sitzen. Eine solche Entwicklung kann kein Unternehmen lange aushalten, ohne irgendwann Insolvenz beantragen zu müssen, schon gar nicht in Pandemie-Zeiten mit erheblichen wirtschaftlichen Folgen für Branchen wie die Textilindustrie.

Die mittelständischen Industriebranchen haben sich in einem Bündnis zusammengeschlossen, in dem sie sich für eine Faire Energiewende einsetzen? Wie schaut eine solche faire Energiewende für Sie aus?

Eine solche Energiewende müsste für einen wirksamen und effizienten Klimaschutz sorgen, der eine industrielle Produktion und den Erhalt guter Arbeitsplätze in Deutschland ermöglicht. Nur dann würde eine solche Energiewende ein Vorbild für die Welt.

Sie sind Experte für Energiepolitik. Haben Sie einen Tipp, wie eine künftige Bundesregierung ganz neu ansetzen kann, um Klimaschutz und industrielle Produktion in Deutschland in ein kluges Gleichgewicht zu bringen?

Das ist im Grunde ganz einfach: Wir brauchen einen wirksamen Emissionshandel für sämtliche CO2-Emissionen in Deutschland. Damit würden wir sicher und effizient unsere Klimaziele erreichen. Zugleich bräuchten wir aber einen Ausgleich der dadurch entstehenden unbeabsichtigten Nebenwirkungen.

Können Sie uns das konkret an einem Beispiel erklären?

Wenn für uns Verbraucher die CO2-Bepreisung in nicht mehr bezahlbare Größenordnungen schnellt, müssen die Mehrkosten durch Heizkosten- und Mobilitätszuschüsse für eine Übergangszeit aufgefangen werden, bis neue klimaschonende Technologien angeboten werden, die keine Mehrkosten mehr verursachen. Anders ist die Klimawende auch für viele Bürger nicht zu schultern. Dasselbe gilt für die Industrie, solange es international keine vergleichbaren Klimaschutzanstrengungen wie in Deutschland gibt. In diesem Fall hätte die Industrie durch die Klimaschutzmaßnahmen in Deutschland deutlich höhere Kosten, die dazu führen würden, dass die Unternehmen international nicht mehr wettbewerbsfähig wären. In der Folge würden Arbeitsplätze und Emissionen ins Ausland verlagert werden. Dies kann man verhindern, in dem den Unternehmen ausreichend grüne Energie zu international wettbewerbsfähigen Preisen zur Verfügung gestellt wird.

Mehr Informationen finden Sie unter https://www.faire-energiewende.de/