Digitale Lernplattform textil trainer: Aktiv gegen Fachkräftemangel

textil+mode sprach mit Patrick Winzer von der Technischen Universität Chemnitz, über digitale Lernplattformen und wie das Wissen der Textil- und Modeindustrie auch in Zukunft an Mitarbeiter, Nachwuchskräfte und Quereinsteiger weitergegeben werden kann.

07.04.2021

textil+mode: Herr Winzer, digitale Lernplattformen waren in den vergangenen Monaten für Schüler und Auszubildende gezwungener Maßen das Mittel der Wahl, um Lernstoff zu erarbeiten. Aber auch in Zukunft ist Fachwissen in der Textilindustrie gefragt. Was bietet Ihre Plattform my.textil-trainer.de an und was zeichnet sie aus?

Patrick Winzer: Ja, die derzeitige Situation stellt uns alle vor Herausforderungen. Obwohl unser Projekt „textil trainer“ schon im Jahr 2019 begonnen hat, freuen wir uns umso mehr besonders jetzt Kleinstunternehmen und Mittelständler aus der Textilindustrie unterstützen zu können. Vor allem kleine Unternehmen müssen viele Aufgaben „nebenbei“ erledigen, wofür Großunternehmen andere Kapazitäten haben. Das führt zu drei großen Problemen: Aufgrund einer fehlenden Personalabteilung findet größtenteils keine kontinuierliche Weiterbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter statt und darunter leidet die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen. Zweitens bedeutet, aufgrund der kompakten Personalstruktur, ein Wegfall von einzelnen Mitarbeitern schon Produktionseinschränkungen, was eine Schulung außer Haus über mehrere Tage unattraktiv macht. Drittens besteht die Belegschaft aufgrund von fehlenden Fachkräften zunehmend aus Quereinsteigern, die unternehmensintern eingearbeitet und geschult werden müssen. Dazu zählt nicht nur die aufgabenspezifische Wissensvermittlung, sondern auch ein Einblick in textile Grundlagen, um die eigene Tätigkeit zu verstehen und in den Gesamtkontext einfügen zu können. Aus diesen Gründen haben wir mit der Plattform „textil trainer“ eine Unterstützung für die berufliche Einarbeitungsphase ins Leben gerufen – textiles Grundlagenwissen: ortsunabhängig, leicht verständlich, fachlich fundiert und kostenfrei.

Also ein Wikipedia für Textilthemen?

Ganz so würden wir es nicht sehen. Natürlich setzen wir auf einen niedrigschwelligen Plattformzugang sowie zu den einzelnen Inhalten. Herausgreifen möchte ich hier den mobile-first-Ansatz, eine einfache Sprache und unseren Fokus auf eine starke Visualisierung.

Was uns jedoch grundlegend von Wikipedia unterscheidet: Unsere Inhalte orientieren sich an Lehrplaninhalten sowie Lehrmaterialien der Berufsschulen. Außerdem werden die Inhalte von unserem Inhaltsteam und unserem Kooperationspartner der Chemmedia AG akribisch recherchiert, didaktisch aufgearbeitet und durch Reviewpartner aus der Praxis auf ihre Anwendbarkeit getestet. Die Modularität ermöglicht zudem den Lernenden im eigenen Lerntempo nach eigenen Interessen Wissensinhalte auszuwählen und durch ein bestandenes Quiz mit einem Zertifikat den erfolgreichen Abschluss zu dokumentieren.

An wen richtet sich das Angebot konkret, wer kann sich bei Ihnen anmelden?

Der „textil trainer“ ist aufgrund der Ausrichtung auf textiles Grundlagenwissen vornehmlich an Mitarbeiter in der Einarbeitung adressiert – meist sind das Quereinsteiger. Ebenso hilft die Plattform bei der Wissensauffrischung bei Azubis oder auch, um Angestellte in Job-Rotation zu begleiten. Bildungsverantwortliche können zudem in der Einarbeitung unterstützend auf den „textil trainer“ setzen. Aufgrund des kostenlosen Angebots ist natürlich jeder und jede eingeladen, die bereitgestellten Inhalte zu nutzen. Wir haben zum Beispiel schon Feedback von Textiltechnologen bekommen, die gesagt haben, dass sie sich solche Inhalte gerne im Studium gewünscht hätten.

Ist das Angebot für Interessierte kostenfrei? Muss ich mich vorher registrieren?

Der „textil trainer“ ist komplett kostenfrei. Es ist lediglich eine Registrierung unter https://my.textil-trainer.de notwendig, um den eigenen Lernfortschritt zu speichern sowie über neue Kurse informiert zu bleiben.

Mit Circular Economy und Green Deal kommen jede Menge neue Anforderungen auf Fachkräfte in der Textilwirtschaft zu. Wie halten Sie den „textil trainer“ aktuell und wie finanziert sich Ihr Projekt?

Sie haben recht. Aktualität ist der Schlüssel für so ein Vorhaben. Um die Aktualität zu gewährleisten, arbeiten wir eng mit Unternehmen, Interessenverbänden, Berufsschulen und externen Beratern zusammen. Thematisch haben wir hier schon mit Querschnittsthemen wie Cradle2Cradle oder auch Recycling auf die anstehenden Zukunftsthemen reagiert. Der Nachhaltigkeitsfokus unserer Professur Textile Technologie an der TU Chemnitz findet sich somit auch im „textil trainer“ wieder.

Da wir uns auf textiles Grundlagenwissen fokussieren, sehen wir unsere Kurse zu Innovationen als thematischen Einstieg und als Start für eigene Recherchen. Außerdem beginnen wir in der Mitte des Jahres 2021 verstärkt mit der Plattformevaluierung und binden die aufkommenden Anregungen und Hinweise agil in die Kurse ein. Nutzer haben darüber hinaus schon heute über die Kommentarfunktion die Möglichkeit, Feedback zur Plattform oder zu konkreten Inhalten zu geben.

Das Projekt ist durch ESF-Mittel sowie durch den Freistaat Sachsen bis Mitte 2022 finanziert. Das klingt noch lang, jedoch sind wir schon jetzt auf der Suche nach Partnern, um eine Weiterfinanzierung des Projekts zu gewährleisten – noch ergebnislos. Aus diesem Grund ein einfacher Appell an Unternehmen, Bildungsinstitutionen sowie an Verbände: Nutzen, teilen und kommunizieren Sie darüber, um die Potenziale dieser kostenfreien Plattform auch anderen zugänglich zu machen und die Wichtigkeit dieses Bildungsangebotes zu verdeutlichen; wie wir es auch hier mit Ihnen, dem Gesamtverband textil+mode, in Kooperation tun. Herzlichen Dank dafür.

Haben Sie schon mal was beim „textil trainer“ erfahren, was Sie selbst noch nicht wussten und was Sie überrascht hat?

Als mir unser Inhaltsteam von Essigsäurebakterien und bakterieller Zellulose erzählt hat, musste ich schon noch mal genauer nachfragen.

In meiner täglichen Arbeit in der Außenkommunikation beeindruckt mich immer wieder, wie viel Textilexpertise bei uns im Heimatbundesland Sachsen (noch) vorhanden ist. Die gilt es zu erhalten, denn selbst Unternehmen in der Textilindustrie untereinander kennen sich nur bedingt. Und in der Bevölkerung kommt oft die Frage: „In Sachsen gibt es noch eine Textilindustrie?“ Hier müssen wir besonders die kleinen Unternehmen in der Öffentlichkeitsarbeit unterstützen. Deshalb ermuntern wir besonders sächsische KKUs und KMUs mit uns zusammenzuarbeiten, um ihre Potenziale im „textil trainer“ einzubinden und somit für eine wachsende Nutzerschaft und für zukünftige Mitarbeiterinnen und Mitarbeite gemeinsam sichtbarer zu werden.

Wir wünschen Ihnen viel Erfolg und bedanken uns für das Gespräch!

 

Weitere Informationen zur digitalen Lernplattform textil trainer finden Sie unter https://www.textil-trainer.de/