Deutsche Textil- und Modeindustrie: Erwartungen an die künftige Bundesregierung

Gesamtverband veröffentlicht Forderungspapier zur Bundestagswahl 2021 als kompaktes Kurzformat

28.07.2021

Belastungen abbauen – neuer Schub für Innovationen und Investitionen

Die deutsche Textil- und Modeindustrie leistet mit ihren zahlreichen Innovationen schon heute einen nachhaltigen Beitrag zum Schutz von Klima und Umwelt. Unsere Branche hat das Potenzial, noch engagierter in neue Verfahren und Produkte zu investieren, um auch in Zukunft weltweit Vorbild zu sein und führend zu bleiben. Dafür braucht es bürokratiearme, international wettbewerbsfähige Standortbedingungen in Deutschland. Überbordende Bürokratie und immer weiter steigende Kosten hemmen Innovationen, Investitionen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit besonders von mittelständischen Unternehmen. Wir benötigen daher keine zusätzlichen Kosten und Bürokratie-Lasten, sondern ein mutiges Entfesselungsprogramm als Schubkraft für neue Zukunftslösungen sowie wettbewerbsfähige Unternehmenssteuern. Nur so können wir die teils dramatischen wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie in der Textil- und Modeindustrie überwinden, unsere Potenziale ausschöpfen und die zentralen Herausforderungen durch Digitalisierung und Klimawandel nachhaltig erfolgreich meistern.

 

Energiepolitik mit der Industrie gestalten

Erfolgreicher Klimaschutz wird nur mit der deutschen Industrie gelingen – auf keinen Fall gegen sie. Neue Technologien auch in der Textil- und Modeindustrie bringen Ressourcenschutz und Nachhaltigkeit voran. Hochmoderne textile Filteranlagen reinigen Luft und Wasser, textile Fassaden senken den Energiebedarf von Gebäuden. Kein Windrad dreht sich ohne textile Verstärkung der Rotorblätter. Um solche und andere Textilien herzustellen, brauchen unsere heimischen Hersteller so viel Strom und Brennstoffe wie eine halbe Million Haushalte in Deutschland pro Jahr. Noch sind weder ausreichend grüner Strom noch grüner Wasserstoff zu bezahlbaren Preisen auf dem Markt. Die seit diesem Jahr fällige CO2-Steuer auf fossile Energieträger führt für die Unternehmen neben der Umlage aus dem Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG-Umlage) zu kaum noch bezahlbaren Zusatzkosten. Eine Kompensation der CO2-Abgabe aus Steuermitteln muss ausreichend, unbürokratisch, transparent und wettbewerbstauglich sein. Ausgleichsmechanismen wie jetzt, im bürokratischen Dickicht und nach Kassenlage, sind untragbar für den Mittelstand, der damit keine Chance mehr auf Wettbewerbsfähigkeit hat. Die EEG-Umlage hat sich immer mehr zu einem negativen Standortfaktor entwickelt und muss durch eine Haushaltsfinanzierung ersetzt werden.

 

Stationären Handel und Innenstädte stärken

Für die deutsche Bekleidungs-, Heimtextilien-, Schuh- und Lederwarenindustrie ist der stationäre Handel in den Innenstädten weiterhin wichtigster Partner und Vertriebskanal. Die Corona-Pandemie hat eindringlich die systematischen Wettbewerbsnachteile des stationären Handels gegenüber Online-Plattformen und -händlern aufgezeigt: von den starren Vorgaben zu Ladenöffnungszeiten über Beschränkungen des Arbeitszeitgesetzes bis hin zu Verkehrsbeschränkungen in Innenstädten. Aber auch die ersten internationalen Verabredungen über die Mindestbesteuerung von großen Plattformen und anderen global agierenden Konzernen legen offen, dass noch immer keine ausreichende Steuergerechtigkeit besteht. Vor diesem Hintergrund brauchen wir ein echtes Level Playing Field zwischen Online- und Offline-Handel. Dazu gehören insbesondere weitere Flexibilisierungen bei den Ladenöffnungszeiten, rechtliche Rahmenbedingungen, die eine praxisgerechtere, engere Kooperation und Vernetzung zwischen der Industrie und dem stationären Einzelhandel zulassen sowie engagierte, gezielte Maßnahmen zur Förderung von Digitalisierung und Innovationen besonders im stationären Fachhandel. Ohne einen starken, vielfältigen stationären Einzelhandel wird es keine lebenswerten, attraktiven Innenstädte in Deutschland und Europa geben.

 

Vorfahrt für Digitalisierung

Die Digitalisierung verändert die komplette textile Lieferkette. Dafür brauchen Hersteller und Handel verlässliche Rahmen auf nationaler und europäischer Ebene. Das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Textil vernetzt unterstützt kleine und mittlere Unternehmen der Textilindustrie, des Textilmaschinenbaus und angrenzender Branchen beim Ausbau ihrer digitalen Fitness und bei der Implementierung von KI-basierten Anwendungen. Wir wollen die bisher erreichten praktischen Ergebnisse mit Leuchtturmcharakter sichern und unsere mittelständischen Unternehmen auch nach Auslaufen der Bundesförderung über Oktober 2022 hinaus bei der Digitalisierung unterstützen. Deshalb setzen wir uns für ein eigenes sogenanntes Themenzentrum für unsere Branche im Netzwerk Mittelstand-Digital ein. Auf Bundesebene müssen künftig digitale Zuständigkeiten gebündelt und schnelle Netze in ganz Deutschland Standard werden.

 

Vorfahrt für mehr Kreislaufwirtschaft

Kreisläufe können nur dann geschlossen werden, wenn diese ganzheitlich systemisch betrachtet werden. Der gesamte Lebenszyklus und nicht nur einzelne Abschnitte müssen im Fokus stehen. Damit dies gelingt, ist die Zusammenarbeit aller Akteure gefragt. Außerdem muss sich die künftige Bundesregierung dafür einsetzen, Schnittstellen zu koordinieren und Synergien freizusetzen: Kreislaufwirtschaft wird zum Erfolg mit Digitalisierung; Klimaschutz geht Hand in Hand mit Ressourcenschutz und geschlossenen Kreisläufen. Für diesen nachhaltigen Ansatz steht die deutsche Textil- und Modeindustrie und bringt sich in verschiedenen Netzwerken auf nationaler und europäischer Ebene ein. Schon heute werden in den Unternehmen etablierte Strategien ausgeweitet und erprobt. Damit aber letztendlich die Kreislaufwirtschaft gelingt, müssen auch innovative Konzepte unterstützt und gefördert werden.

 

Verantwortungsvolle Chemikalienpolitik

Die deutsche Textilindustrie ist weltweit führend bei der Entwicklung von Schutzausrüstung für Feuerwehr, Polizei, Rettungsdienste, Ärzte und Pflegekräfte und der Herstellung innovativer technischer Textilien für den Umweltschutz. So gibt es kein Windrad in Deutschland ohne Textil. Unsere Unternehmen produzieren am Standort Deutschland nach höchsten Umweltschutzstandards auf der Basis einer strengen Chemikalienregulierung, die nach dem Willen der EU weiter verschärft werden soll. Dies hat für die Textilindustrie bei der Produktion von dringend benötigten Spezialtextilen erhebliche Auswirkungen. Wollen wir es wirklich zulassen, dass in Deutschland keine Windenergieanlagen mehr hergestellt werden können? Für den Umbruch hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft brauchen wir innovative Spezialtextilien. Und dafür brauchen wir eine Chemikalienpolitik, die sich am Machbaren orientiert. Innovationen dürfen nicht von vornherein über Verbote ausgeschlossen werden. Dies gefährdet den Produktionsstandort Deutschland und führt letztlich zu einer Produktionsverlagerung an Standorte, die unsere Auflagen nicht haben. Damit erreichen wir das Gegenteil von Umwelt- und Klimaschutz.

 

Auf die Bildung kommt es an

Jedes Jahr bildet die deutsche Textil- und Modeindustrie rund 2 000 junge Menschen in dualen Ausbildungsberufen aus. Hinzu kommen viele unternehmerische Aktivitäten, die textilen Ausbildungszentren zu stärken und junge Menschen für die Textil- und Modeindustrie zu begeistern. Dabei nehmen die Schwerpunkte Nachhaltigkeit und Digitalisierung einen immer größeren Stellenwert in Ausbildung und Hochschullehre ein. Voraussetzung für eine ausreichende Zahl an Fachkräften ist die Verbesserung der Qualität und der Digitalisierung schulischer Bildung. Die Corona-Pandemie hat die Bildungsdefizite in Deutschland deutlich offengelegt.

 

Forschung als Innovationsmotor

Die Produktpipeline der deutschen Textilindustrie ist gut gefüllt. Auch dank des Forschungskuratoriums Textil (FKT). In der Zukunftsstudie des FKT Perspektiven 2035 zeigt sich, wie innovationsstark die deutsche Textilindustrie ist. Im Verbund mit 16 textilen Forschungsinstituten hat die Branche zahlreiche Lösungen für eine nachhaltige Zukunft – vom Bau über die Medizin bis zu Fragen der Umwelt- und Energietechnik. Nur durch einen kontinuierlichen Ausbau der Forschungsförderung, wie der industriellen Gemeinschaftsforschung, kann die deutsche Textilindustrie ihre Weltmarktführerschaft verteidigen und nachhaltige Entwicklungen, wie eine umfassende Kreislaufwirtschaft, voranbringen.

 

Keine innovativen Zukunftstechnologien ohne Textil

Die Unternehmen der mittelständischen Textil- und Modeindustrie haben in der Corona-Pandemie gezeigt, wie wichtig es ist, noch Produktionsstätten im eigenen Land zu haben. Sie sprangen ein, als es keine Masken und Schutzbekleidung mehr aus China gab. Aber die deutsche Textil- und Modeindustrie kann noch viel mehr: Mit werthaltiger Mode und Wohntextilien sowie innovativen technischen Textilien legt die Branche die Grundlagen für eine nachhaltige und digitale Transformation, auch mit neuen innovativen Produktionsstätten in Deutschland. Bei technischen Textilien sind deutsche Unternehmen Marktführer in Europa und der Welt und wichtiger Bestandteil nationaler industrieller Lieferketten. Textil ist eine Querschnittstechnologie für nahezu alle anderen Industrien in Deutschland und unverzichtbar, wenn es um Leichtbau, Auto- und Flugzeugbau, Windenergie und die Herstellung von grünem Wasserstoff geht. Deshalb muss die Leistungsfähigkeit unserer Unternehmen gestärkt werden. Neben den richtigen politischen Rahmenbedingungen brauchen wir einen neuen gesellschaftlichen Konsens, dass eine eigene mittelständische Industrie wichtig ist: Sie schafft Wertschöpfung und Arbeitsplätze, zahlt Steuern, bildet aus, engagiert sich, forscht und entwickelt Zukunftslösungen. 1 400 Unternehmen der deutschen Textil- und Modeindustrie mit über 124 000 Beschäftigten, viele davon Familienbetriebe in dritter oder vierter Generation, stehen jeden Tag dafür ein, Tradition und Transformation in einem Hochlohnland wie Deutschland zusammenzubringen. Wir haben innovative textile Lösungen auf dem Weg in eine klimaneutrale Zukunft. Das verdient Wertschätzung in einem Koalitionsvertrag, der die richtigen Weichen für einen nachhaltigen Aufbruch mit einer leistungsfähigen mittelständischen Industrie in Deutschland stellen muss.   

 

Berlin, Juli 2021