Augsburg hat eine lange Tradition in der Textilindustrie, die bis ins Mittelalter zurückreicht. Die Stadt war ein bedeutendes Zentrum der Textilproduktion, insbesondere bei der Herstellung von Stoffen. Das wird auch immer wieder im Staatliches Textil- und Industriemuseum Augsburg (tim) deutlich, das seit 14 Jahren eindrucksvoll Besucherinnen und Besuchern Einblicke in textile Welten gibt. Dabei geht es neben aktuellen Themen, etwa dem verantwortungsbewussten Umgang mit Textilien, auch um Historisches: Gerade findet im tim bis zum 10. November wieder eine spannende Sonderschau statt, die zeigt, was die Bewohner des antiken Augsburgs getragen haben- eine Reise in die Welt von Toga, Tunika und Sandalen. Es ist faszinierend nachzuerleben, mit viel Aufwand und Technik Textilien in der Römerzeit hergestellt wurden.
Mit Technik und Herstellung von Textilien kennt man sich in Augsburg auch heute noch aus, vor allem an der Technischen Hochschule. Anders als noch bei den Römern, als Bekleidung lange getragen und immer wieder neuen Verwendungen zugeführt wurde, steht heute die Frage im Raum: Was tun mit der textilen Massenware aus Asien, die Europas Märkte überschwemmt? Was machen mit den Bergen von Altkleidern, die durch viel zu viel Fast Fashion oft ungenutzt in Schreddern oder der Textilverbrennung landen?
Antworten darauf finden sich im Recycling Atelier Augsburg, das in diesem Sommer sein Projekt „Circular Textiles“ aus der Taufe gehoben und öffentlich vorgestellt hat. Im Fokus steht die komplette Recycling- und Wertschöpfungskette von Textilien: Von der Herstellung, dem Kauf, der Nutzung, bis zur Sammlung von Alttextilien, deren Sortierung und Recycling und ebenso die Aufbereitung zu Fasern als neue textile Rohstoffe. Ziel ist es, eine ganzheitlich und möglichst komplette Abbildung der beteiligten Prozesse und Geschäftsfelder zu ermöglichen – mit allen Beteiligten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft und Politik, um technologische und gesellschaftliche Innovationen für eine nachhaltige textile Kreislaufwirtschaft zu entwickeln.
Zur Realisierung des Projekts „Circular Textiles“ erhält die Technische Hochschule Augsburg (THA) für die kommenden vier Jahre bis zu fünf Millionen Euro Förderung im Rahmen der Förderrichtlinie DATIpilot des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Knapp 500 Anträge wurden zur Bewerbung als Innovationscommunity bei DATIpilot eingereicht. Nach einem mehrstufigen Auswahlprozess wurden 20 ausgewählt, darunter ist die THA als einziges Textilprojekt in Deutschland.
Von einem Ritterschlag spricht Prof. Dr. Gordon Thomas Rohrmeier, Präsident der Technischen Hochschule Augsburg. Johannes Diebel, Leiter des Forschungskuratoriums Textil e.V., kurz FKT, ist begeistert, dass sich Augsburg unter 500 Einreichungen durchsetzen konnte. „Das zeigt“, so Diebel, „dass wir uns in der Textilforschung auf dem richtigen Weg befinden.“ Zusammen mit Expertinnen und Experten hat Diebel eine Kreislaufstudie vorgelegt und Wege für eine zukunftsfähige Textilindustrie über das Jahr 2030 hinaus in einer eigenen Zukunftsstudie entwickelt.
Vollständige Kreislaufwirtschaft realisieren
Die Forschenden der THA haben als zentrale Koordinierungspartner das Recyclingunternehmen TexAid, das Forschungskuratorium Textil e.V. und die hessnatur Stiftung gewonnen. Das gemeinsame Ziel ist es, den Schritt von einer linearen Textilwirtschaft hin zu einer vollständigen Kreislaufwirtschaft zu realisieren. Während bislang überwiegend nur einzelne Prozess-Schritte betrachtet werden, wie die Herstellung, Nutzung und Verwertung von Textilien, so werden bei „Circular Textiles“ alle Beteiligten und deren Sichtweisen einbezogen.
„Das Alleinstellungsmerkmal der Innovationscommunity ist die ganzheitliche und möglichst komplette Abbildung der beteiligten Prozesse und Geschäftsfelder. Aktuell gibt es Interessenbekundungen von ca. 50 Firmen und Verbänden, die dieses Projekt aktiv begleiten wollen“, so Prof. Dr. Nadine Warkotsch, Vizepräsidentin für Forschung und Nachhaltigkeit der THA.
Modellfabrik für mechanisches Textilrecycling
Die THA baut mit der Innovationscommunity „Circular Textiles“ auf nunmehr zwei Jahre Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten im Recycling Atelier Augsburg auf – die weltweit erste Modellfabrik für mechanisches Textilrecycling, die im Rahmen des KI-Produktionsnetzwerks der Technischen Hochschule Augsburg gemeinsam mit dem Institut für Textiltechnik Augsburg, initiiert und eröffnet wurde.
Angegliedert an das Recycling Atelier ist zudem das Lernlabor ELLSI (Education and Learning Lab for Sustainability Innovations), das hybride Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote im Fachbereich Textilindustrie bietet. Zum einen, um Studierende und Forschende der THA aus- und weiterzubilden sowie zu vernetzen. Zum anderen, um der Industrie Möglichkeiten zu bieten, ihre Maschinen und Prozesse digital nachzubilden. Dies eröffnet Testräume zur Weiterentwicklung einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft. So wurde im Recycling Atelier bereits eine automatisierte, KI-getriebene Erkennungsmethode entwickelt, um den Sortierprozess von Alttextilien zu automatisieren.
Prof. Dr.-Ing. Stefan Schlichter, Sprecher der Innovationscommunity Circular Textiles, ist überzeugt, dass Augsburg für die textile Kreislaufwirtschaft wesentliche Impulse setzen wird: „Nachhaltige Textilindustrie ist nur durch moderne Technik wettbewerbsfähig. Augsburg könnte sich zur Modellregion für modernste textile Nachhaltigkeit besonders beim Recycling entwickeln. Mit unserem Projekt Circular Textiles kommen wir der textilen Kreislaufwirtschaft in Deutschland ein deutliches Stück näher.“
„Circular Textiles“ soll dazu beitragen, die Textilindustrie in einem Hochlohnland wie Deutschland wieder rentabel und wettbewerbsfähig zu machen und dabei zugleich einen großen Innovations- und Transformationsbeitrag zur Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit leisten.
Herausforderungen, die die Augsburger der Römerzeit so nicht kannten. Zwar waren auch ihre Kleiderregeln Moden unterworfen und bestimmten, wer was anziehen darf und soll. Togas und Tunnikas waren jedoch vielfältig einsetzbar und kamen schon deshalb immer wieder in den Kreislauf, weil Textilien wertvoll waren. So hofft auch Johannes Diebel vom FKT, dass sich Kreislaufwirtschaft schon bald aus wirtschaftlichen Gründen mehr und mehr lohnen wird: „Die Sammler und Sortierer von heute sind die Rohstofflieferanten von morgen. Wir müssen Alttextilien, egal ob Bekleidung, Produktionsabfall, Heimtextilien oder auch Technische Textilien, als wertvolle Rohstoffe begreifen.“ Das Projekt Circular Textiles, das als einziges Textilprojekt durch DATIpilot gefördert wird, ist für Johannes Diebel deshalb ein echter Meilenstein.
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