Kreislaufwirtschaft – „Da steckt jede Menge Musik für uns drin!“

Interview mit Jonas Stracke, Leiter Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz bei textil+mode

29.01.2024

Seit drei Monaten ist Jonas Stracke jetzt beim Gesamtverband textil+mode für das Thema Kreislaufwirtschaft zuständig. Der studierte Textilingenieur hat neben Aufenthalten in der Textilindustrie in Bangladesch, China und Äthiopien auch schon einschlägige Erfahrungen bei einem der größten Textilsammler, -sortierer und -verwerter in Europa gesammelt.

 

textil+mode: Herr Stracke, in Ihrem Büro hängt ein weißer Pulli, auf den Sie besonders stolz sind, was hat es mit dem Pulli auf sich?

Jonas Stracke: Dieser Pulli besteht zu 100 Prozent aus gerissener Baumwolle aus Alttextilien. Er ist für mich ein Paradebeispiel, wie aus alten Textilien neue hergestellt werden können und motiviert mich jeden Tag, weiter an der komplexen Thematik zu arbeiten. In vielen Bereichen in Deutschland haben wir das Wissen und die Technologie, kreislauffähig zu werden. Jetzt müssen wir es nur noch schaffen, in großem Stil von linearen zu zirkulären Geschäftsmodellen zu kommen.

textil+mode: Die Werbung vermittelt den Kunden, dass es schon jede Menge Geschäftsmodelle gibt, etwa Bikinis aus Meeresplastik oder Anoraks aus PET-Flaschen.

Jonas Stracke: PET-Flaschen als Rezyklat für Textilien zu nutzen, reicht mir nicht aus. Mein Ansatz ist, dass wir auch aus Kleidern und Textilien, die nicht mehr getragen werden oder im Müll landen, wieder neuen Rohstoff aufbereiten können. Daraus können wieder neue Bekleidungsstücke entstehen, aber auch Möbel oder hochwertige Dämmstoffe. Ich habe hier beispielsweise einen tollen Prototypen einer Tischplatte aus Alttextilien. Wir müssen gebrauchte Textilien als wertvollen Rohstoff begreifen. Jeden Tag entsorgen die Verbraucherinnen und Verbraucher in Europa tonnenweise Textilien, die sie nicht mehr anziehen oder die verschlissen sind. Die Idee vom T-Shirt zum T-Shirt, oder vom Meeresmüll zur neuen Badehose klingt auf den ersten Blick ziemlich einfach, doch so einfach ist es in der Praxis dann doch nicht.

textil+mode: Eine Hürde ist, dass man genau wissen müsste, welche Fasern in einem Alttextil drinstecken. Die meisten der entsorgten Kleider sind ja nicht aus 100 Prozent Baumwolle, sondern sind Mischgewebe oder aus Kunstfasern. Und ganz oft sind die Etiketten herausgeschnitten worden.

Jonas Stracke: Das stimmt. Aber auch hier gibt es schon intelligente Ansätze und Techniken, die die Fasern genau identifizieren können. Ziel ist, Textilien automatisiert nach Rohstoffen zu sortieren. Noch ist das alles mit einem relativ großen Aufwand verbunden und Lösungen sind lediglich in kleinem Maßstab verfügbar. Ich bin mir aber sicher, dass vor allem durch digitale Lösungen und auch durch frische Ideen von Start-Ups, die Themen der Sortierung und die Entwicklung neuartiger Recyclingtechnologien stark gepushed werden. Auch die von der EU auf den Weg gebrachte Gesetzgebung für eine sogenannte "Erweiterte Produktverantwortung" bietet die Möglichkeit, mittels neuer Förderprogramme eine neue Recyclinginfrastruktur aufzubauen. In dem Thema steckt viel Musik, auch für uns. 

textil+mode: Was kann ein Verband dazu beitragen, Kreislaufwirtschaft voranzubringen?

Jonas Stracke: Wir können die entscheidenden Player zusammenbringen und unsere Expertise in die politischen Debatten einbringen. Außerdem müssen Forschung und Entwicklung in diesem Bereich nennenswert gefördert werden und schneller als bisher in die Umsetzung gehen. Wir brauchen ganz konkrete Schritte, um das Thema vom Papier auch in die Praxis zu übersetzen. Außerdem muss sich stärker als bisher die Erkenntnis durchsetzen, dass wir die eigene Industrie im Land nicht verlieren dürfen. Sind Spinnereien, Garnhersteller und Textilveredler aufgrund der hohen Energiepreise nicht mehr am Standort Deutschland wettbewerbsfähig, können wir den Aufbau einer eigenen textilen Kreislaufwirtschaft hier in Europa vergessen. Für die Umsetzung der Kreislaufwirtschaft brauchen wir eben auch industrielle Lösungen hier vor Ort in Europa. Alttextilien komplett zur Aufbereitung nach Asien zu schicken, ist schon aus ökologischen Gründen absurd. Deshalb ist ein Zweiklang gefragt: Stärkung der eigenen Industrie und ihrer Innovationen UND Aufbau einer ganz neuen Kreislaufwirtschaft, damit wir auch damit einen relevanten Beitrag zum Ressourcen- und Klimaschutz leisten. Das sind zwei Seiten einer Medaille, die nur zusammen funktionieren.  

Jonas Stracke mit Pullover aus 100 Prozent gerissener Baumwolle aus Alttextilien © textil+mode