Beton ist der Werkstoff unserer Zeit. Häuser werden daraus gebaut, Straßen oder Brücken. Der Vorteil von Beton: Er lässt sich flüssig in die Form gießen und damit vielfältig bearbeiten. Soll der Beton besonders starken Kräften widerstehen, etwa beim Bau von Autobahnbrücken, dann wird er mit Stahlmatten verstärkt, der sogenannten Bewehrung. Denn reiner Beton kann zwar hohen Druck ertragen, ist aber empfindlich, wenn man an ihm zieht. Doch die Stahlbewehrung hat einen Nachteil. Man muss sie vor Wasser und Rost schützen und deshalb mit einer dicken Schicht Beton umhüllen. Das macht die Stahlbetonbauteile schwer. Ein relativ junger alternativer Baustoff ist Textilbeton, bei dem die Bewehrung aus Stahl durch ein Netzwerk aus Textilfasern ersetzt wird. Der Vorteil: Weil Textilien nicht korrodieren, kann die Betonummantelung sehr viel dünner ausgelegt werden. Die Textilbetonteile sind schlanker und deutlich leichter.
Projektförderung durch das Bundesforschungsministerium
Allein das ist bereits ein starkes Argument für den Einsatz von Textilbeton. In dem vom Bundesforschungsministerium geförderten Kooperationsprojekt CurveTex aber ist es nun gelungen, den Textilbeton für die Baubranche nochmals erheblich attraktiver zu machen: Durch den Einsatz elastisch formbarer Bewehrungsgewebe ist es jetzt möglich, Textilbetonteile zu fertigen, die sich beinahe beliebig formen lassen. Heute wird Beton zumeist zu einfach geformten Objekten wie Wänden, Böden oder Säulen verarbeitet. Jetzt aber sind sogar mehrfach gekrümmte Objekte möglich. Auch lassen sich in Fassaden halbkugelförmige Vertiefungen oder Erhebungen integrieren. Am Projekt CurveTex waren die Firma Penn Textile Solutions aus Paderborn, das Stanecker Betonfertigteilwerk aus Borchen und das Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University beteiligt.
Herkömmliche textile Bewehrungen werden meist in Form eines Netzgewebes in den Textilbeton eingeschlossen. Ähnlich wie ein Handtuch lassen sich diese Textilien durchaus formen – beispielsweise zu einer Wellenstruktur. Versucht man aber, das Textil doppelt zu krümmen oder gar eine Halbkugel zu formen, dann wirft es Falten. Für die Haltbarkeit des Textilbetons aber sind Falten Gift, weil Zugkräfte dort nicht sauber übertragen werden. Im Bauteil entsteht eine problematische Schwachstelle.
Textilien tiefziehen wie Autobleche
So kam Markus Regenstein, Geschäftsführer der Penn Textile Solutions, auf die Idee, statt der üblichen Bewehrungen elastische Textilien zu verwenden, die sich wie ein Autoblech mit Tiefziehwerkzeugen dreidimensional verformen lassen. „Als Hersteller von Miederwaren sind wir mit der Verarbeitung von elastischen Textilien ja vertraut“, sagt Markus Regenstein. „Büstenhalter etwa werden mit einer dem Tiefziehen verwandten Methode, dem Molden, geformt. Da lag es nahe, dasselbe mit textilen Bewehrungen zu versuchen.“ Mit Unterstützung der Experten vom ITA kombinierte Markus Regenstein Glasfasern mit elastischen Silikonfasern. Dieses Gewirk wurde dann auf Tiefziehwerkzeugen geformt und nach der Formgebung mit Flüssigharz getränkt und ausgehärtet. In Kooperation mit der Firma Stanecker wurde dann ein erstes Demonstrationsobjekt aus Beton angefertigt: eine mehrere Meter breite und hohe Fassadenplatte aus Sichtbeton, die markante halbkugelige Vertiefungen und Erhebungen trägt. „Diese große Platte wiegt gerade einmal 78 Kilo“, sagt Markus Regenstein. „Eine Stahlbetonplatte von derselben Größe würde rund 270 Kilo wiegen.“ Um das doppelt gekrümmte Bauteil mit Beton zu umgießen, wurde es in eine Form eingelegt und mit Abstandshaltern mittig fixiert. So konnte der Beton das Gewebe gleichmäßig umfließen und auf der Ober- und Unterseite die gleiche Stärke ausbilden.
Für Beton und Verbundwerkstoffe gleichermaßen geeignet
Markus Regenstein hat von Architekten in den vergangenen Monaten viele positive Rückmeldungen erhalten, weil das elastische Bewehrungstextil im Bau ganz neue Freiheiten bei der Gestaltung von Betonbauteilen bietet. Darüber hinaus, sagt er, sei es denkbar, elastische Textilien dieser Art auch zur Formgebung in anderen Branchen einzusetzen – etwa in der Automobilproduktion und überall dort, wo Glasfaser- oder Kohlefaserverbundwerkstoffe eingesetzt werden. Denn auch hier besteht das Problem, dass Textilien Falten werfen, wenn man sie doppelt krümmt oder wölbt.
Für die Betonhersteller liegen die Vorteile auf der Hand. Doppelt gekrümmte Objekte bieten aktuell ein Alleinstellungsmerkmal. Zudem bringt der Einsatz der elastischen Textilbewehrungen bis zu 80 Prozent Beton- beziehungsweise Zementeinsparungen mit sich – und damit eine immense Reduzierung der Kohlenstoffdioxid-Emissionen. Im Hinblick auf zunehmend strengere Umweltauflagen ist das ein echter Gewinn.
Ein künstlerischer Blick in die Zukunft des Textilbetons
Wie kreativ man heute mit Textilbeton arbeiten kann, hat auch der Düsseldorfer Künstler Thomas Schönauer im November 2018 auf einer der wichtigsten europäischen Textiltagungen gezeigt, der Aachen-Dresden-Denkendorf International Textile Conference (ADD-ITC). Dort wurde seine weltweit erste großformatige Carbonbeton-Skulptur CON-TEXTURES enthüllt. Die Skulptur besteht aus zwei Textilbetonschalen von 2,4 Meter Höhe mit einer Wandstärke von nur 20 Millimetern. Sie ist mit einer Carbonbewehrung verstärkt. Die blattartige Skulptur gibt eine Ahnung davon, was künftig mit Textilbeton so alles machbar sein wird.
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